MOTIVATION

Die Anforderungen an Führungskräfte sind im Gesundheitswesen besonders komplex und widersprüchlich. Gleichzeitig ist Führung in der Fachausbildung selten Thema. Weiterbildungen leisten kaum Abhilfe: die Besonderheiten der Führung im Gesundheitswesen berücksichtigen sie zu wenig.

Immer wieder stehen Führungskräfte im Gesundheitswesen vor Entscheidungen, bei denen widersprüchliche Ansprüche aufeinander treffen. Solche Situationen lassen sich gut anhand von Beispielen veranschaulichen.

Einsatzplanung im Krankenhaus

Hanna, eine junge und engagierte Pflegefachkraft, die in der klinischen Anästhesie und Intensivpflege tätig ist, erwartet ihr erstes Kind. Ihrem Arbeitgeber hat sie mitgeteilt, dass sie daher nach Rückkehr aus der Elternzeit keine Nachtdienste mehr übernehmen möchte. Die Entscheidung über die Erfüllung dieses Anliegens obliegt der zuständigen Stationsleitung.

Ein Problem zeichnet sich ab, als eine weitere junge Mutter und eine ältere Kollegin vom Antrag der Kollegin auf Befreiung von Nachtdiensten erfahren und diesen Wunsch, den sie bislang nie explizit geäußert hatten, auch für sich selbst erfüllt sehen möchten.

Die Stationsleitung erlebt ein Dilemma: Gibt sie dem Antrag der werdenden Mutter nicht statt, besteht die Gefahr, dass die junge, engagierte Mitarbeiterin das Krankhaus verlässt. Gibt sie dem Antrag hingegen statt, besteht das Risiko einer als unrecht empfundenen Ungleichbehandlung bei den anderen Kolleginnen, die mit nicht überschaubaren Reaktionen einhergeht, welche von einer aufrichtigen Akzeptanz der Entscheidung zu Gunsten der beliebten Kollegin bis hin zu verdeckten Akten eines eigenmächtigen und vermeintlichen Ausgleichs der empfundenen Ungerechtigkeit durch Krankmeldungen resultieren können.

Aktualisierung eines Expertenstandards

Nach langer Uneinigkeit der verhandelnden pflegerischen und medizinischen Fachgesellschaften ist zu Jahresbeginn ein neuer Expertenstandard zum Schmerzmanagement veröffentlicht worden.

Während die überwiegende Mehrheit der zur Umsetzung verpflichteten Kollegen bereits geschult wurde, lehnen zwei Mitarbeitende die Einführung des Standards in ihrer Einrichtung vehement ab, da sie das Patientenwohl durch Umsetzung des neuen Standards gefährdet sehen. Immer mehr Mitarbeitende schließen sich dieser Meinung an. Das Problemgefüge spitzt sich zu, als von der prüfenden Stelle das baldige Audit zur Überprüfung der Umsetzung des neuen Expertenstandards in der Einrichtung angekündigt wird.

Die Einrichtungsleitung sieht sich im Dilemma: Obwohl sie die Bedenken der Beschäftigten aus professioneller Überzeugung teilt, ist sie zur Gewährleistung der Einhaltung des neuen Standards verpflichtet. Die nicht abwendbar erscheinende erwartete Verletzung des Berufsethos belastet die Einrichtungsleitung extrem, gleichzeitig gerät sie durch die Verpflichtung zur Umsetzung zunehmend unter Druck. Im Widerspruch der Anforderungen fühlt sie sich machtlos und weiß nicht mehr ein noch aus.

Multikulturelle Zusammenarbeit

Aya, eine examinierte Pflegefachkraft mit erster praktischer Berufserfahrung, die in ihrer Heimat Lybien einen Bachelorabschluss in Pflegewissenschaften (Advanced Practice Nursing) erworben hat, ist vor einem halben Jahr nach Deutschland gekommen. Ihr größter Wunsch ist es, hier wieder in ihrem Beruf arbeiten zu können. Da ihre Bildungsabschlüsse von den hiesigen Behörden nicht anerkannt wurden, hat sie vorerst eine Stelle als Pflegehilfskraft angenommen.

In der Zusammenarbeit mit anderen Kollegen kommt es dabei auf der Station immer wieder zu Konflikten, da Aya berechtigte fachliche Bedenken auch in ihrer Position als Hilfskraft gegenüber vorgesetzten Fachkräften offen anspricht. Die Gewährleistung eines bestmöglichen fachlichen Handelns und die Wahrung der hierarchischen Ordnung trafen dabei schon mehrfach unweigerlich aufeinander, so dass ein stiller Konflikt im Team entstanden ist, der inzwischen eine sichtbare Spaltung der Kollegen nach sich zieht.

Die Pflegedienstleitung möchte den unausgesprochenen Konflikt lösen. Was richtig und was falsch ist, fällt ihr jedoch schwer zu bestimmen. Einerseits möchte sie die Hierarchie nicht unterlaufen, andererseits die hoffnungsvolle Nachwuchskraft mit ihren berechtigten Hinweisen nicht verprellen. Während die Führungskraft in der Abwägung einer guten Entscheidung schwankt, setzt sich der Konflikt im Team weiter fort.